Athissa
Athissa war eine schlechte Schülerin. Das hätte für unser Leben
keine fatalen Konsequenzen gehabt, wenn sie nicht auf
einer renommierten Musenschule gewesen wäre. Es handelt
sich um eine Akademie, die auch ihren Durchhängern bedeutende
Aufgaben im Leben zuweist. Als konkurrenzlos
Klassenletzte, wurde Athissa die Muse der Dilettanten. Damit
ist sie zuständig für eine Kunst, deren Qualität sich noch
nicht mal auf das subjektive Auge des Betrachters berufen
kann. Für Kunst, die Objektivität generiert. Für Kunst, die
einfach richtig schlecht ist. Jeder weiss, was zu dieser Kategorie
gehört. Niemand spricht es offen aus. Ein Tabu − wenn
auch kein verhängnisvolles. Denn die schlechte Kunst
schenkt uns gelegentlich das höchste sentimentale Gut auf
Erden: den Unter- haltungswert. Künstler sind unsere Zirkuspferde.
Wir wollen sie bewundern und begaffen. Sie sind die
öffentliche Mülltonne für unsere Aufmerksamkeit. Athissa ist
in diesem Kontext nicht gerade eine Schutzpatronin. Im Gegenteil.
Sie fördert die prekären Talente ihrer Schäfchen, indem
sie freimütig noch mehr Talent aus ihrem Füllhorn
schüttet. Talent für Alle. Obendrein werden Athissas Mehr- fachpechvögel
keineswegs von ihrer Muse geküsst, sondern
von den Wespen ihrer Muse gestochen. Kapitale Exemplare
bilden Athissas »Wespengruppe 46«. Ihre Stacheln warten
nur darauf, sich in frisches, talentfreies Künstlerfleisch zu
bohren.
Muse der schlechten Künste
» Selbstverständlich handelt es sich bei meinem
Talent um reinstes Placebo. Schleimhautfreundlich.
Gönnt Euch gleich mal eine gesunde Linie,
bevor Ihr wieder auf Armesünderjagd geht.«
» Ich höre immer noch den einen oder anderen
harmonischen Klang. Stecht bitte noch mal gründlich zu. «